[Rezension] Andreas Winkelmann „Hast du Zeit?“

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Einleitung

„Hast du Zeit?“ – Diese Frage habt ihr sicher schon einmal, vielleicht in einer anderen Variation, gestellt bekommen. Wie oft habt ihr diese sogar mit „ja“ beantwortet? In meinem Umfeld (Stadt) nehmen sich Menschen immer weniger Zeit für Dinge, sich selbst oder Mitmenschen. Überall nur Stress. Alles muss jetzt gleich erledigt sein. Keine Verschnaufpause. Am Ende des Tages fallen dann alle kaputt ins Bett. Am nächsten Tag geht der Spaß von vorn los. Die Welt wird immer schnelllebiger. Kein Grund zur Freude wird mehr richtig genossen. Das ist irgendwie schade und besorgniserregend.

Diese oder ähnliche Gedanken hatte wohl auch Andreas Winkelmann, der Autor des Buches mit Namen aus dem ersten Absatz. Nur hat dieser nicht bloß mit dem Gedanken gespielt, sondern versucht eine mörderische Handlung darum zu bauen. Zugegeben, hätte beim Thema Zeit nicht direkt an einen Thriller gedacht. Eher an einen Abenteuer- oder Liebesroman. Wobei Fantasy auch super gepasst hätte. Aber egal. Der Autor schreibt üblicherweise gut konstruierte und meist spannende Thriller.

Es ist schon eine Weile her, seit ich ein Buch von ihm gelesen habe, was zum Teil auch daran liegt, dass sich vieles mit der Zeit gleich gelesen hat. Ja, als Bestsellerautor muss man abliefern, aber irgendwann wird es einfach langweilig. Könnte dieses Buch wieder mein Highlight sein? Wer weiß. Findet es heraus. 🙂

Danke an dieser Stelle an Netgalley für das Buch im E-Book Format.


Grober Handlungsverlauf

Zeit, eine Konstante, die stumpf vor sich hin schleicht. Entweder man nutzt sie weise, oder verschwendet sie. Ein Mensch, zunächst ohne Namen, ist überzeugt davon, dass einige Menschen in seinem Alltag seine Zeit verschwenden, die er sinnvoller nutzen könnte. In seiner Vergangenheit wurde ihm schon viel zu viel davon genommen. Um seiner Meinung Nachdruck zu verleihen, beschließt er eines Tages jenen Individuen ihre Zeit zu stehlen. Wie sie es einst beim ihm taten. So, meint er, holt er sich wieder wertvolle Minuten zurück. Doch was ist, wenn er sich in diesen Gedanken verrennt, eigentlich sinnlos Leben nimmt und selbst Opfer seiner Zeit wird?

Lilly, die Freundin eines Opfers und ein Mann namens Grotheer nehmen, nach offensichtlichem Desinteresse der Polizei, den Fall selbst in die Hand, um herauszufinden, wohin ihre Freundin und die bereits vermissten Menschen verschwunden sind. Einziger Hinweis auf ihr Verschwinden ist eine handgemachte Sanduhr, die jedem Verbliebenen geschickt wurde. Mehr nicht. Wer hat es auf die Opfer abgesehen? Was verbindet die Opfer?

Fragen über Fragen. Fakt ist: Den beiden läuft die Zeit davon.


Mein Fazit

Es ist schon eine Weile her, seit ich ein Buch von Andreas Winkelmann gelesen habe. Sein letztes Werk konnte mich eher mäßig überzeugen, dementsprechend gering war mein Interesse, mich direkt auf das nächste Buch von ihm zu stürzen. Etwa zwei Jahre später konnte wieder eines seiner Bücher meine Neugier wecken. Zeit ist ein Thema, welches mir gut gefällt, vor allem weil man mit dieser Komponente sehr viel anstellen und umsetzen kann. (Gutes Beispiel: Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit) Welche Gedanken hat sich der Autor dazu gemacht? Der Klappentext klingt vielversprechend, wenn auch etwas dünn, was kein Nachteil ist. Was wir wissen, dass jemandem offenbar Zeit gestohlen wurde bzw. sich darüber aufregt, dass andere seine verschwenden. In welcher Form kann man nur raten. Wie möchte dieser Jemand seinen Opfern wohl deren Zeit stehlen? Logisch. Er wird sie vermutlich umbringen. Das ist jetzt kein Spoiler, sondern naheliegend.

Fangen wir also wie immer am Anfang und mit den positiven Dingen an. Das Buch beginnt mit dem Prolog, oder wie es weiter unten heißt „Hinter der Zeit“. Jemand scheint ein Gespräch mit einer anderen Person zu führen, oder mit sich selbst, so genau weiß man das nicht. Die noch unbekannte Person bewundert eine Wand. Eine Wand, in welche er viel Arbeit gesteckt hat. Was sich darauf, oder darin verbirgt, weiß man genauso wenig. Fakt ist, hier floss viel Arbeit rein. Oder besser gesagt, seine wertvolle Zeit, die ihm von seinen Mitmenschen genommen wurde. Das ist auch das Grundthema des Buches. Menschen, die seine Zeit, in welcher Form auch immer, verschwendet haben, müssen mit selbiger bezahlen. Hier fingt meine anfängliche Freude bereits an zu bröckeln. Es las sich bis dahin eher mau. Diese Art von Mörder:in kannte ich bereits von den anderen Büchern des Autors. Aber davon ließ ich mich nicht beirren. Könnte ja noch etwas werden.

Etwas später werden wir Zeugen, wie die ersten Opfer geholt und getötet werden. Interessant empfand ich, wie der erwähnte Jemand diese geködert hat. Hier ein Beispiel. Eine junge Frau fährt auf einer Landstraße. Plötzlich taucht ein Auto neben ihr auf und schneidet sie, sodass sie eine Vollbremsung einleiten muss, um Schlimmeres zu verhindern. Daraufhin steigt ein Mann aus und stellt ihr folgende Frage „Hast du Zeit?“. Mal abgesehen davon, dass wir wissen, was folgt, wie glaubt ihr, beantwortet die Frau diese Frage? Genau, dass was ihr gerade denkt. Selbstverständlich wird sie anschließend niedergeschlagen und verschleppt. Diese „Logik“ zieht sich durch das gesamte Buch. Es gibt sogar Ausnahmen, in denen Menschen tatsächlich ihre Zeit dem Typen komplett freiwillig schenken. Natürlich werden diese dann in Ruhe gelassen. Nein, natürlich auch getötet. Halten wir fest: Menschen, die sich für ihn keine Zeit nehmen wollen, werden getötet. Menschen, die ihm ihre Zeit hingegen schenken, werden getötet. Das ist doch logisch. ^^

Ups, jetzt habe ich die Kritik etwas vorgezogen. Jetzt zum Positiven. Das durch tragische Umstände zusammengefundene Trio, bestehend aus Lilly (der Freundin eines Opfers), Grotheer ein ehemaliger quasi Polizist und seinem Hund namens Jemand (fragt nicht) machen sich auf der Entführungsserie und den mysteriösen Paketen, welche an die Verbliebenen geliefert wurden, auf den Grund zu gehen. Die Polizei scheint stellenweise zwar bemüht, aber eher desinteressiert zu sein. Es verschwindet doch jeden Tag irgendwer. Gelegentlich gesellen sich ein paar Nebencharaktere hinzu, welche irgendetwas mit den Opfern zu tun haben und daher gerne mithelfen. Diese bleiben, aufgrund mangelnder Auftritte, eher blass. Nicht so schlimm, immerhin geht es um das erwähnte Trio, welches mir sympathisch war. Alle drei sind komplett unterschiedlich, mit ebenso unterschiedlichen Herangehensweisen. Durch den Wechsel der Perspektiven kam so etwas Abwechslung in die Handlung. Diese hatte letztere bitter nötig, denn viel zu bieten hatte diese nicht.

Mal abgesehen davon, von den kleinen Abenteuern der kleinen Gruppe gab es kaum Highlights. Die letzten Stunden der Opfer, eine Handvoll Auftritte unseres Mörders, welche mit der Zeit immer abstruser wurden. Ja, es soll eine kranke Seele mit einer „interessanten“ Wahrnehmung und mangelnder Selbstreflexion darstellen. Das verstehe ich, aber die meiste Zeit über waren diese Passagen unglaublich langweilig. Schon so oft gelesen, sogar in den Büchern des Autors selbst. Ich habe keine Logik oder nachvollziehbares Verhalten erwartet, aber das war einfach nicht meins.

Die grundsätzliche Handlung war langweilig. Nach den ersten 70 Seiten weiß man als Leser, wie die restlichen 310 Seiten aussehen könnten. Es ist nahezu immer das gleiche Schema. Ein bisher unbekannter und offenbar unwichtiger Charakter taucht auf, begegnet jemanden, der Hilfe benötigt oder ersterer wird einfach mal so Krankenhausreif geschlagen und stirbt wenige Kapitel später. Wie die Opfer sterben ist bereits vor dem Auftauchen der Sanduhren (kein offensichtlicher Spoiler, da auf dem Cover) klar. Da, wo an Details gespart hätte werden können, wurde leider nicht gespart und sehr viel bereits vorweggenommen. Dabei hätten wir ja noch viele Seiten vor uns, die irgendwie gefüllt werden mussten. Irgendwie ist auch gleich unser nächstes Stichwort. Viele Geschehnisse wurden genauso gelöst. Gerade so, dass sie Sinn ergeben (könnten). Mehr nicht. Garniert mit ein paar „Oh mein Gott, da passiert gleich etwas Schlimmes.“ Momenten und einem Familiendrama. Wobei ich letzteres noch am spannendsten fand. Was sehr viel über das eigentliche Thema aussagt. Das Ende war ernüchternd. Schnell durchgeboxt. Naja.

Die Fragen, die ich mir das Ganze Buch über gestellt habe, waren folgende: Der Mörder geht also davon aus, dass Menschen ihre und seine Zeit verschwendet haben. Demnach müssen sie dafür bzw. damit bezahlen. Verschwendet er somit nicht seine eigene Zeit damit, um anderen ihre Achtlosigkeit unter die Nase zu reiben, indem er sie umbringt? (Und Apparaturen baut, um dies zu tun) Wäre es nicht besser gewesen, diese am Leben zu lassen, um aus seiner Lektion, wie auch immer diese dann ausgesehen hätte, zu lernen, um dann anschließend ihre Zeit wieder sinnvoller zu nutzen?

Mit diesen Fragen im Kopf und den genannten Kritikpunkten fällt das Buch bei mir gnadenlos durch. Keine Vollkatastrophe, aber meine Zeit habe ich damit definitiv verschwendet.


Buchinformationen

VerlagRowohlt Taschenbuch
AutorAndreas Winkelmann
Erscheinungsjahr2024
GenreThriller
Seiten416
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Informationen über den Autor

In seiner Kindheit und Jugend verschlang Andreas Winkelmann die unheimlichen Geschichten von John Sinclair und Stephen King. Dabei erwachte in ihm der unbändige Wunsch, selbst zu schreiben und andere Menschen in Angst zu versetzen. Heute zählen seine Thriller zu den härtesten und meistgelesenen im deutschsprachigen Raum. In seinen Büchern gelingt es ihm, seine Leserinnen und Leser von der ersten Zeile an in die Handlung hineinzuziehen, um sie dann, gemeinsam mit seinen Figuren in ein düsteres Labyrinth zu stürzen, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. Die Geschichten sind stets nah an den Lebenswelten seines Publikums angesiedelt und werden in einer klaren, schnörkellosen Sprache erschreckend realistisch erzählt. Der Ort, an dem sie entstehen, könnte ein Schauplatz aus einem seiner Romane sein: der Dachboden eines vierhundert Jahre alten Hauses am Waldesrand in der Nähe von Bremen.


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